Das Bild Balis in Europa war lange Zeit bestimmt von Eindrücken, die westliche Besucher, zumeist Künstler und Globetrotter, in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts von der Kultur der Insel und ihren Menschen zeichneten. In den 60-er Jahren suchten Hippies hier ihr Paradies und später australische Surfer billige Unterhaltung. Neu errichtete Hotelanlagen zogen massenhaft Pauschaltouristen an. Bali sucht nun, erschüttert durch den verheerenden Bombenanschlag 2002 in Kuta, neue Zielgruppen, ohne die eigene Tradition und Kultur aus dem Blick zu verlieren. Die sich schnell wandelnde Welt allerdings fordert Konzessionen.

 


Bali – Die Insel der Götter zwischen Wandel und Rückbesinnung

  

Die Japaner müssen warten. Jetzt bringen sie ihre Kameras in Anschlag und warten weiter. Sie warten auf den Beginn einer Vorführung, die Teil ihres heutigen Tagesprogramms ist. Fünf bis sechs Flugstunden entfernt von Heimat und Arbeitsplatz verbringen sie auf Bali ihren einwöchigen Jahresurlaub. Das Pauschalreisepaket verspricht ihnen den Besuch der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Insel. Wir sind im Puri Saren, dem Königspalst des Herrschers von Ubud. Hier wird jeden Mittwoch öffentlich die Tanzstunde der kleinen kaum sechsjährigen Tanzelevinnen abgehalten. Nachdem die Lehrerin eingetroffen ist, erklingt Musik aus einem großen Kassettenrecorder, die Tänzerinnen nehmen Aufstellung und die Japaner kommen zu ihren Bildern. Nach der Tanzvorführung steht der Besuch des Museum Puri Lukisan mit Besichtigung klassischer balinesischer Malerei und Skulptur auf dem Programm, danach verbleiben noch dreißig Minuten für einen Abstecher auf den Markt. Der klimatisierte Reisebus wartet schon. Und weiter geht es zur nächsten Attraktion: zum Mond von Pejeng, der weltgrößten Bronzetrommel. Die Japaner nutzen selbst die kurze Wegstrecke für ein kleines Nickerchen. Urlaub soll ja auch der Erholung vom Stress des Berufsalltags dienen.

 

Schlagbaum und uniformierte Sicherheitsleute sollen die Gäste beruhigen

 

In Ubud, dem ehemalige Künstlerdörfchen ist die Vermarktung des balinesischen Mythos gut organisiert. Viele Besucher aus Übersee halten sich deshalb für mehrere Tage hier auf. Die große Zahl der Unterkünfte ist mittlerweile so vielfältig, dass sie alle Bedürfnisse abzudecken vermag. Auch Touristen mit schmalem Geldbeutel finden ein landestypisches Quartier und freundliche Gastgeber. Wer über Reiseagentur oder Internet bucht, kann sich in teuren Luxushotels mit allem verwöhnen lassen, was sich Osten und Westen für sie ausgedacht haben. Solche Ressorts sind vornehmlich in den letzten Jahren gebaut worden, versteckt in der üppigen Vegetation Zentralbalis. Hier ist es kühler und ruhiger. Am Eingang der Anlagen helfen Schlagbaum und uniformierte Sicherheitsleute den Gästen ein Gefühl von sicherer Geborgenheit zu geben.. Noch vor Jahren - vor dem mörderischen Anschlag in Kuta - konnten wir in Ubud, eine Fahrstunde vom Flughafen im Landesinneren, unter den vielen Besuchern über Weihnachten und Neujahr in leichtes, helles Knitterleinen gekleidete, sichtlich kunstinteressierte Touristen beobachten. Unter ihnen viele deutsche Lehrerinnen. Sie hatten sich gern im Hotel Tjampuhan einquartiert In dieser Hotelanlage steht das Haus, in dem 1930 bis 1940 der aus Deutschland eingereiste Walter Spies lebte. Für viele ist Spies ein wichtiger Entdecker und Förderer balinesischer Kultur. Sein Haus in Ubud war in dieser Zeit schillernder Treffpunkt für Künstler aus Europa und Amerika. Charly Chaplin, Vicky Baum, Colin McPhee, auch die Ethnologin Margret Mead zählten, um nur einige zu nennen, zu seinen illustren Gästen. Ubud entwickelte sich zu einem internationalen Künstlermekka, das nicht unwesentlichen Anteil an der Verbreitung des Bildes von Bali als einer Insel homosexueller Freizügigkeit, als Paradies mit barbusigen Balinesinnen hatte.

Walter Spies, selbst Maler und Musiker, interessierte sich für balinesische Tänze, native Malerei und die Musik des Gamelan-Orchesters. Er förderte das Interesse junger Balinesen an

Malerei und gilt als Schöpfer des einzigartigen Kecak-Tanzes. Andere Maler folgten ihm und beeinflussten die traditionelle balinesische Malerei. Sie gründeten Malschulen, es entstanden ganze Malerkolonien. Penestanan in Ubuds Nachbarschaft ist das bekannteste Malerdörfchen, in dem die Familien noch heute vom Verkauf der Bilder ihrer Künstler zu leben versuchen.

 

Die Wünsche ausländischer Touristen bestimmen das Angebot  

 

Hier hat uns Kedud in sein Haus mitgenommen. Er ist Lehrer, Fremdenführer, Taxifahrer und hat in der dörflichen Gemeinschaft die Aufgabe eines Ordnungswächters. Natürlich führt er uns zunächst in die beiden sich zur Straßenseite öffnenden Ausstellungsräume. Dahinter, im gartenartigen Innenhof finden wir dann die Erklärung für die verschiedenen Malstile der ausgestellten Werke. Gleich mehrere Maler, alle gehören zu Keduds Familie, arbeiten an der Herstellung ihrer Bilder. Ihre Ateliers bestehen aus einem überdachten, jeweils neben ihrem Wohnhaus angelegten Arbeitsplatz. Hier im kühlen Schatten entstehen Portraits balinesischer Frauen, stilisierte Hahnenkämpfe, Szenen religiöser Tempelfest oder abstrakte Gemälde in leuchtenden Farben. Man müsse sich dem Geschmack der ausländischen Käufer anpassen, erklärt Kedud ein wenig bedauernd. Die Zeiten seien vorbei, in denen ausländische Galeristen und Händler direkt aus der Werkstatt Bilder von Dorfszenen, mythischen Geistern, bunten Vögeln in grünem Blattwerk aufgekauft hätten. Kaum noch kämen Touristen in die Ausstellung. Selbst Galerien und die unzähligen Läden in Ubud, die sich in den Hauptstraßen aufreihten, fänden nur noch schwer Abnehmer für ihre Angebote. Er trage die Bilder jetzt einzeln in Hotels, um sie dort den Gästen persönlich zum Kauf vorzustellen. Zur Ergänzung der künstlerischen Produktion würden die Frauen und Mädchen seiner Familie Perlenarbeiten anfertigen. Vor allem Taschen in allen Größen werden mit farbigen Glas- und Plastikperlen bestickt. Im Hof entdecken wir auf Gestellen auch zum Trocknen aufgehängte Batikmalerei. All diese kunsthandwerklichen Arbeiten werden später in den Verkaufsständen an den Straßenrändern in Ubud zur Vergrößerung des Überangebots „typischer“ Bali-Souvenirs beitragen

Die schicken, vollklimatisierten Geschäfte mit den großen Glasscheiben in Ubuds Monkey Forest Road versuchen mit verkaufsfördernden Maßnahmen, mit Sonderangeboten und Preisnachlässen internationale Markenkleidung, teure Sonnenbrillen und am westlichen Geschmack orientierte balinesische Designermode an ihre Kundschaft zu bringen. Vom gegenüberliegenden Cafe beobachten wir, wie jeden Tag vor einem Schmuckladen hoteleigene Kleinbusse weibliche Gäste absetzen. Sie vergleichen im Laden interessiert preiswerten kunstvollen Silberschmucks aus den Werkstätten des fünfzehn Kilometer entfernten Dörfchens Celuk. Im Publikum sehen wir viele elegante Japanerinnen, die sich Ubud länger als drei Stunden gönnen. Sie genießen die gepflegten Hotelanlagen mit Spa und Shihatsu und lassen den Tag in einem Sushi-Lokal bei balinesischer Musik ausklingen. Der rücksichtsvolle Fahrer des Hotelbusses wartet geduldig bis auch die letzte Kundin im Laden fündig geworden ist.


Zurück in unserem Quartier inmitten der Reisfelder befragen wir unseren Gastgeber. Er hat in Japan zwei Jahre balinesischen Silberschmuck verkauft. Vor wenigen Jahren in seinen Heimatort zurückgekehrt hat er ein Reisfeld erworben und darauf Wohn- und zwei Gästehäuser errichtet. Der japanisch angelegte Garten ist mit balinesischen Skulpturen reich geschmückt. Die Zahl japanischer Touristen nehme von Jahr zu Jahr zu. Bali sei für Japaner billig, das Klima besser als in Japan. Er plane gemeinsam mit einem japanischen Partner den Export balinesischer Häuser. Die traditionelle Bauweise der Balinesen sei erdbebensicher, sodass er ein gutes Geschäft erwarte. Unsere Frage, welche Sehenswürdigkeiten er seinen Gästen zu besuchen empfehle, macht ihn nachdenklich. Seine Antwort: Fast alle seiner Gäste seien Japaner. Ihr knapp bemessener Urlaub lasse ihnen nur zwei oder drei Tage Zeit für einen Besuch Balis. Ihr Interesse sei dann in der Regel auf den Bali-Hinduismus gerichtet. Sie nähmen an religiösen Zeremonien und Tempelfesten teil. Viele besuchten in dieser kurzen Zeit auch den Aschram eines bekannten balinesischen Yoga-Lehrers. Seine eigenen Leistungen beschränkten sich auf ihren zumeist nächtlichen Transport zwischen dem Internationalen Flughafen Nguh Rai und seinem balinesisch–japanischen Gästehaus, fügte er lachend hinzu.

Sein schwarzes Haar hat er im Stile eines japanischen Samurais straff über seinen runden Schädel nach hinten gekämmt und mit einem Knoten zusammengefasst. Zum Suomi-Ringer fehlen im noch zwanzig Kilo. Der am Himmel aufgegangene Vollmond spiegelt sich in den bewässerten Reisfeldern. Aus der Ferne klingen Gesang und Musik vom Tempel eines benachbarten Dorfes durch die Nacht.

 

Ente im Reisfeld

 

Am nächsten Morgen geht es drei Enten buchstäblich an den Kragen. Mit schnellem Griff werden sie fest am Hals gefasst, hochgehoben und schon sind sie in einem Sack verschwunden, den die Bäuerin am Rande des Reisfeldes bereithält. Entenfang will gelernt sein. Leicht geduckt stapft der Fänger mit langen breiten Schritten durch das moorastige Feld, hinein in die auseinanderstrebende Entenschaar. In der linken Hand eine lange, dünne Bambusrute haltend, mit dem rechten Arm um sein Gleichgewicht rudernd, geht er zielstrebig dem ausgewählten Tier hinterher. Ist es erst einmal mit der Rute von den anderen getrennt, versucht es an den Rand des Reisfeldes zu fliehen. Hier hat die Jagd ein schnelles Ende. Der Höhenunterschied zwischen den einzelnen Terrassen hindert die Ente an der weiteren Flucht. Der Jäger hat nun leichte Beute.

Er kommt jeden Morgen auf die Reisefelder. Wir erkennen ihn schon von weitem an seinem Strohhut und der Bambusrute, an deren Ende ein Stoffband flattert. Damit in ihr Reisfeld geführt, nehmen die Enten es laut schnatternd und schmatzend in Besitz. Der Bauer stellt die Rute am Rand des Feldes auf. Nun kann er sie neben dem weithin sichtbaren Signalfähnchen sich selbst und ihrer Fresslust überlassen. Die Felder bedecken eine leicht abfallende, weite Fläche zwischen dem Rücken des Hügelzuges und der steil zu einem Bach abfallenden Schlucht. Seitlich wird sie von einem Palmensaum begrenzt. Auf der anderen Seite trennen Bananenstauden die Reisterrassen vom kleinen Dörfchen. Mitten hindurch gurgelt Wasser in einem geradlinig angelegten Kanal dem Tal entgegen. Über allem liegt tiefblauer Himmel. Bauschige Wolken ziehen ihren Weg.

 

Das dörfliche Leben verläuft nach alten Regeln

 

Vor dem Schulgebäude am Dorfeingang kommen wir mit einem Lehrer ins Gespräch. Reis bestimme den Lebensrhythmus der bäuerlichen Familien, erklärt er bereitwillig. Dreimal im Jahr folgten Aussaat, Pflanzung, Bewässerung und Ernte den Gesetzen der Natur und den Erfahrungen der Dorfälteren. Gleich nach der Ernte beginne die Arbeit wieder von vorn mit Pflügen, Eggen und Wässern. Die Versammlung der Männer entscheide über Einkauf von Saatgut, Verteilung und Verkauf der Ernte und lege den Plan für den Ablauf der Arbeiten fest. Reiswirtschaft sei Gemeinschaftsaufgabe. Mit Drahtgittern vor Vögeln geschützt sind Saatparzellen angelegt. Unter Befolgung der richtigen Mondphase werden die herangewachsenen Setzlinge in die vorbereiteten Felder gepflanzt. Hier hilft das ganze Dorf. Die Ausbesserung und Pflege der die Felder begrenzenden Pfade nimmt die Reisbauern täglich in Anspruch. Kleine Durchlässe ermöglichen es dem Wasser, die Terrassen Stufe für Stufe zu überfluten. Die Wasserwege müssen immer wieder freigeräumt werden. Kurz vor der Erntezeit werden sie geschlossen, das Wasser umgeleitet. Das Anlegen der Terrassen, ihrer Feldeingrenzungen und Wege sowie die Einrichtung des kunstvollen Bewässerungssystems werden in Handarbeit durchgeführt. Nach der Ernte erleichtert motorisiertes Pflüggerät die Arbeit. Das Steuern und Rangieren des eisernen Ungetüms verlangen seinem Fahrer nicht nur Geschick sondern auch vollen körperlichen Einsatz ab. Barfuß watet er hinter dem Gerät her, dann steigt er auf und beschwert den Pflug mit seinem Körpergewicht. Das Knattern des Motors beginnt um sieben Uhr und endet mit Sonnenuntergang. Feld um Feld wird nach festgelegtem Plan bearbeitet.

Ein gutes Gelingen des Reisanbaus, einen guten Ernteertrag erbittet das ganze Dorf von Dewi Sri, ihrer Reisgöttin. Sie wird nicht nur im Tempel geehrt und angebetet. An den Feldrändern der Reisterrassen findet man Schreine, die mit weißen Tüchern geschmückt sind. Täglich kommen hierher Frauen aus dem Dorf, um Opfergaben abzulegen und sie anzubeten. Wenn der Abend naht, ist auch unser Entenvater wieder auf dem Feld. Der Bambusstab mit dem Fähnchen hält die Enten zusammen und bringt sie auf ihren Heimweg. Am unteren Rand der Reisterrassen haben sie ihr Nachtquartier, eine flach gebaute und mit Palmblättern bedeckte Bambushütte. Bald wird das Geschnatter leiser, die Enten haben sich zur Nachtruhe eingerichtet. Die Sonne ist untergegangen, die Farben verändern sich zusehends Über dem Reisfeld kehrt friedliche Ruhe ein. Wie es unseren drei gefangenen Enten in dieser Nacht geht, wissen wir nicht. Sicher ist nur, dass sie am nächsten Morgen bereits acht Uhr auf dem Bauernmarkt einem gewissen Schicksal entgegensehen werden.

 

Mit Beschwörung der eigenen Kräfte das Gleichgewicht herstellen

 

Padang Bai, das kleine Fischerdorf im Südosten Balis, zeigt sich in der Abendstunde von seiner schönsten Seite. Unser Lieblingsplatz ist dann der Kopf der Mole. Von hier aus hat man einen großartigen Blick über das Dorf auf die dichtbegrünten Hügel und Berge, die sich hinter dem Dorfrand erheben und eine Ausdehnung des Ortes erfolgreich verhindern. Vor der Mole, in Strandnähe, vergnügen sich Kinder im Wasser. Die Fischer stellen die Arbeiten an Booten und Netzen ein. Gruppen von Männern stehen plaudernd beieinander. Der Tag kommt zur Ruhe.

Zu dieser Stunde begegnen wir Made, einem jungen Mann mit großen, stechenden Augen und Baseballkappe. Wiederholt schaut er zu den dunklen, tiefblauen Regenwolken, die am Himmel aufziehen. Ob wir auch auf das Tempelfest gingen? Bedenken wegen schlechten Wetters mochte er nicht zulassen. Gemeinsam mit dem Priester würden genug Menschen beten, um den Regen zu vertreiben. Ob das Beten denn wirklich helfe? Ohne Zögern erklärt er, dass nur genügend power vonnöten sei. Power entscheide alles. Und als Erklärung gibt er uns ein Beispiel: Zu seiner Hochzeit habe er alle eingeladen, die auf eine Einladung gehofft hätten. Dabei sei es äußert wichtig gewesen, niemanden zu vergessen. Der Übersehene hätte mit seiner power Schaden anrichten können. Was denn dann passiert wäre, fragten wir ungläubig. Nun, es hätte jemand am Essen erkranken oder einer seiner Gäste hätte sich ein Bein brechen können. Wenn jemand ganz viel power habe, könne er sie sogar so einsetzen, dass jemand sterbe. Auf seiner Hochzeit sei alles gut gegangen. Er habe ja auch niemanden vergessen. Über seinem Gesicht breitet sich verschmitzter Stolz aus. Ihm gehe es gut, seine Frau erwarte bereits ihr zweites Kind. Richtig in Fahrt gekommen, will er jeden unserer Zweifel ausräumen. Sollten die Menschen im Nachbarort seinem Dorf das Tempelfest nicht gönnen, würden sie ihre power einsetzen und dafür beten, dass es regnet. Dann käme es darauf an, in welchem Dorf die größte power entwickelt werden kann. Power entscheide eben alles. Er schüttet sich förmlich aus vor Lachen.

 

Gut fünf Jahre zuvor sprachen wir am Morgen nach der großen Tsunami-Katastrophe 2004, bei der Teile Indonesiens furchtbar verwüstet und viele Tausend Menschen getötet wurden, Wayan, den Manager unseres Hotels. Er kam gerade von einer den Toten gewidmeten Tempelzeremonie. Nachdenklich erklärte er, die Götter gäben uns ein Zeichen. Die Menschen würden die Götter nicht mehr respektieren. Es geschehe zu viel Unrechtes auf der Welt. Auch das verheerende Bombenattentat in Kuta sei eine Warnung der Götter gewesen. In Padang Bai konnte man noch Gedenktafeln mit Namen von Gästen lesen, die bei diesem Anschlag umgekommen waren. Die Zahl der Touristen war merklich zurückgegangen. Sporttaucher, die sich wichtig mit den motorisierten Booten der Tauchschulen zu den Tauchrevieren fahren ließen, füllten die Lücke kaum aus. Heute scheint das Fischerdorf verändert. Die Strandbars sind abgebaut, fliegenden Händlern, die Sarongs und Souvenirs anbieten, begegnet man kaum noch. Die sich um die Bucht ziehende Dorfstraße macht einen friedlichen, aufgeräumten Eindruck. Am Abend trifft man sich hier zu einem Plausch. Die Auslegerboote werden auf den Strand gezogen und gesichert. Wir werden schon am zweiten Tag wie Bekannte gegrüßt. Auch Wayan treffen wir wieder. Er lädt uns natürlich sofort zum Tempelfest ein. Dies sei eine größere Zeremonie, nicht zuvörderst für Touristen. Alle Leute aus dem Ort würden kommen. Er sei Mitglied des Gamelan-Orchesters. Wir würden ihn schon erkennen trotz seiner festlichen Tracht.

 

Nur Rückbesinnung auf alte Werte verhindere den Untergang der Zivilisation

 

Bekleidet mit für den Besuch des Tempels vorgeschriebenem Sarong, weißem langärmligem Hemd, um die Hüften ein Schaltuch gebunden, machen wir uns auf den Weg zum Tempel. Dieser liegt mitten im Ort, begrenzt durch der benachbarten Häuser Gärten. Bananen, Papaya, Mango, Reis, Süßspeisen, auf ihren Köpfen sorgfältig übereinandergestapelt, werden von Frauen des Dorfes von allen Seiten an die vor dem Tempeleingang aufgebauten Tische gebracht. Andere bringen in verschlossenen Körben ganze Mahlzeiten: gekochten Reis, Huhn, Gemüse. Was im Tempel keinen Platz findet, bleibt außerhalb, geschützt von schmuckvollen Schirmen. Auch die meisten Besucher müssen vor dem Eingang auf dem Boden Platz nehmen. Die Hände über dem Kopf zum Beten zusammengeführt, folgen sie der Zeremonie, die von Priestern und Helfern im Innern abgehalten wird. Der Tempel ist für den heutigen Zulauf zu klein. Der Ablauf der Riten: heilige Texte, Gesänge, Gebete, Segnung mit geweihtem Wasser, wird für jede, die vorherige ablösende Gruppe Gläubiger wiederholt. Die Straße vor dem Tempel füllt sich mit festlich gekleideten Menschen, die Instrumente des Gamelan-Orchesters werden aufgebaut und sofort von neugierigen Jungen ausprobiert. Kleinere Kinder folgen auf dem Arm ihrer Mutter oder an der Hand des Vaters dem munteren Treiben. Das Tempel- entwickelt sich zum Straßenfest. Kaum, dass die Musiker des Gamelan-Orchesters auf dem Boden hinter ihren Instrumenten Platz genommen und sich klanglich einstimmen, werden auch schon die Ränder der Straße von den Bewohnern des Dorfes gesäumt. Jeder muss auf dem Boden Platz nehmen. Keiner darf sich über die Priester erheben, die den Platz vor den Gamelan- Spielern mit geweihtem Wasser für die nun folgenden zeremoniellen Abläufe segnen. Drei Legong-Tänzerinnen eröffnen, der Musik folgend, mit anmutigem Tanz die Zeremonie. Die Schönheit ihrer Darbietung, die fast schwebende Leichtigkeit der Bewegungen, ursprünglich zur Unterhaltung königlicher Gäste am Hof von ganz jungen Tänzerinnen vorgeführt, scheinen alle immer wieder in ihren Bann zu ziehen. Und wieder mit geweihtem Wasser den rituellen Ablauf segnend, begleiten die Priester den vierbeinigen Barong, Träger der guten Lebensenergie, seine Gegenspielerin, die Hexe Rangda, Verkörperung der Unterwelt, des Bösen sowie neue Tänzerinnen auf den Platz. Von unseren Nachbarn werden wir leise belehrt, dass sich beide Kräfte, in allem vereint, in ständigem Kampf befänden. Das eine existiere nie ohne das andere. Aufgabe der Menschen sei es, durch eigenes Verhalten dem Guten zu helfen. Dieser Glaubenssatz finde hier im Barong-Tanz seinen Ausdruck. Begleitet vom Tanz der mit starren Blicken fast bedrohlich dreinschauenden Tänzerinnen und dem ständigen auf und ab der Gamelan-Musik bringen der in Gestalt eines Löwen wild auftretende Barong und seine grauselig anzuschauende Gegenspielerin Rangda tänzerisch ihren Kampf dar. Die Sonne ist bereits untergegangen. Die Straßenlaternen tauchen alles in ein gespenstiges Licht. Männliche Zuschauer bilden dichte Kreise, die nun die in sich versunkene Rangda sowie den sich zurückziehenden, ebenfalls sieglosen Barong umschließen. Wieder kommen die Priester, um die Männer mit heiligem Wasser zu besprühen. Die Szene ist in erwartungsvoller Spannung erstarrt, als sich plötzlich mit wildem Schrei einer der Männer aus dem Kreis löst, auf Rangda loszustürzen versucht aber schnell von kräftigen Männern auf den Boden geworfen und dort festgehalten wird. Wie angesteckt lösen sich weitere Männer aus dem Kreis, um immer auch mit wildem, dumpfem Schreien auf Rangda loszustürzen, bevor sie von weiteren Männern auf den Boden gezwungen werden.

Kurz vor Mitternacht treffen wir Wayan auf der leeren Dorfstraße. Allein, militärischen Marschschritt mit leichten Tanzschritten abwechselnd, scheint er zufrieden auf seinem Heimweg zu sein. Wo er denn gewesen sei - im Gamelan-Orchester hätten wir ihn nicht gesehen? Er habe beten müssen damit es nicht regnet. Es hat in der Tat auch nicht geregnet. Die schweren Wolken sind vorübergezogen. Dermaßen beeindruckt, wagen wir nicht mehr zu fragen, ob die Männer, welche sich in Trance auf Rangda stürzen wollten, nur Teil einer großartigen Inszenierung waren. Wayan verabschiedete uns mit dem Hinweis, dass Tempelfeste wie dieses zum inneren Frieden des Dorfes aber auch jedes Einzelnen beitragen würden. Nur die Rückbesinnung auf die altern Werte, der Einklang mit den Göttern könne den Untergang menschlicher Zivilisation verhindern.

 

Wir begrüßen jeden ausländischen Gast

Bei unserer Abreise machen wir auf dem Flughafen in Denpasar Bekanntschaft mit dem imigrasi, der indonesischen Einwanderungsbehörde. Wir haben unser Visum um einen Tag überschritten und werden höflich in das Büro eines höheren Beamten gebeten. Es ist noch sehr früh am Morgen und die ansonsten sehr lebhafte Flughafenhalle fast leer. Unserem Gesprächspartner – ausgeschlafen und in beeindruckender Uniform, mit der er bei jeder Militärparade als Ehrengast durchgegangen wäre - war es eine Freude, seinen ausgezeichneten Umgangsformen mit exzellentem Englisch zur Vollendung zu helfen. Die Überschreitung unserer Aufenthaltserlaubnis sei kein Problem. Es würden keine schwarzen Listen geführt und wir könnten zu jeder Zeit wieder einreisen. Selbstverständlich würde die Entrichtung einer Gebühr nach genau beschriebenen Verordnungen anfallen. Ja, für zwei Tage. Ein- und Abreisetermin zählten als ganzer Tag.

Mit der entrichteten Gebühr könnte eine vierköpfige Familie auf Bali gut zwei Wochen leben. Wir erhalten dafür noch die Information, dass seit kurzem auch Zweimonatsvisa bei der Einreise am Flughafen ausgestellt würden. Man sei interessiert daran, dass die Touristen viel Batik, Kunsthandwerkliches und balinesische Kunst kaufen. Außerdem sei es Ausländern seit kurzem problemlos möglich, auf Bali Grund und Boden oder bereits fertiggestellte Immobilen zu erwerben. Der Staat müsse aus verständlichen Gründen die Einfuhr von Devisen fördern. Die indonesische Regierung begrüße jeden ausländischen Gast.
Wir verlassen Bali mit dem Gefühl, dass sich die Insel der Götter auch in der Zukunft noch viele seiner Geheimnisse bewahren wird.

 

Indonesien, Januar bis Februar 2010

 

Photos:

http://www.guenter-schuermann.net/fotos/bali/bali-2010/