DER AUSVERKAUF EINER KULTUR

 

 

Unsere Maschine landet kurz vor Mitternacht auf dem Flughafen Ngurah Rai. Es ist Anfang Februar, der Flug ist nicht ausgebucht, so dass wir mit einer schnellen Abfertigung beim Immigrasi und dem Zoll rechnen. Die junge Indonesierin hinter einem der vielen Schalter für die Ausstellung der Visaunterlagen akzeptiert neben der sonst üblichen US-Währung als Gebühr auch Euro. Die Aufenthaltserlaubnis gilt weiterhin nur für dreißig Tage. Wir fragen sie nach einem zweimonatigen Visum. „Ja, eine Verlängerung auf 60 Tagen ist möglich. Sie können diese im Einwanderungsbüro außerhalb des Flughafens erhalten. Dieses ist jetzt  allerdings geschlossen. Morgen früh ist es wieder geöffnet“.

Die Abfertigung geht schnell, unsere Stimmung bleibt ungetrübt. Erst als wir das Gepäckband suchen, nehmen wir die Veränderungen des früher so typisch balinesischen Empfangsbereiches wahr. Hier roch es immer einladend nach Bali, nach Räucherstäbchen, Blüten, Nelkenzigaretten. Die Ankömmlinge wurden von einer kleinen Gruppe Gammelanspieler musikalisch begrüßt.

Seit unserem letzten Besuch auf der indonesischen Insel vor vier Jahren ist das Flughafengebäude kaum wiederzuerkennen. Unter der gleisenden Deckenbeleuchtung erkennen wir eine neugebaute riesige Abfertigungshalle, die der steigenden Touristenzahl Platz bieten soll. Die nächste Gruppe laut schwatzender, erwartungsfroher Pauschalurlauber strömt bereits vom Flugfeld herein. Sie kommt aus Guangzhou, dem früheren Kanton in Südchina. In der Halle versammeln sie sich, geleitet von Reiseleitern, brav vor der Zollabfertigung. Unser Gepäck steht allein in der riesigen Halle. Es ist bereits von Helfern vom Band genommen worden.

Gut eine Viertelstunde nach unserer Ankunft sitzen wir im Taxi. Wir kennen ihn schon, den üblichen Fragenkatalog: Woher kommen Sie?  Wie lange bleiben Sie? Ist dies Ihr erster Besuch auf Bali? „Oh“ ruft unser Fahrer sichtlich begeistert, „dann kennen sie ja unsere neue Brücke noch nicht. Sie ist im Zeitraum eines Jahres gebaut worden. Wir fahren gleich darüber!“ Und richtig, die in nächtlicher Stunde fast leere Autobahn führt uns aufs Meer und parallel zur Küste nach Osten. Beim Landeanflug konnten wir die auf Stelzen errichtete gigantische Brückenanlage bereits aus dem Flugzeug bestaunen. Um sicher zu sein, fragen wir unseren Fahrer noch einmal, ob wir uns bei der kurzen Bauzeit  nicht verhört haben.  „Nein, nein“, versichert er mit sonorer Stimme. „Die Chinesen können alles! Auf Stelzen!“ Noch bleibt uns der Sinn des gewaltigen Bauwerkes verborgen. Erst später erfahren wir, dass diese mautpflichtige Trasse der Beginn des 13.177 km langen AH2, des Asian Highway 2, ist. Dieser soll Denpasar über Java, Singapur, Malaysia, Thailand, Birma, Indien, Bangladesch, Nepal, Pakistan mit Khosravi im Iran verbinden. Während wir noch über das bewunderte Pflaster rollen, erfahren wir, dass Bali gern von Touristen aus China besucht wird. Besonders jetzt, in den Tagen des chinesischen Neujahrsfestes kommen viele Gruppen, die in den zahlreichen Hotelburgen Kutas und Legians untergebracht werden. Für die vom Tourismus lebenden Händler, Taxifahrer, Restaurantbesitzer falle allerdings wenig ab. Der Aufenthalt sei von den Reiseunternehmen gut durchorganisiert. Alles gehe per Bus. „Nur die reichen Chinesen gehen in die Fünfsternehotels“, verrät er uns. Nach deutlich kürzerer Fahrzeit kommen wir in Ubud, unserem 200 m über Meereshöhe gelegenen Ziel an. Wir verabschieden uns von unserem aufmerksamen Fahrer, der noch bis vier Uhr auf neue Fahrgäste hofft. Dann gebe er das Taxi seinem Boss zurück und nach einer halben Stunde Fahrt mit dem Motorroller sei er wieder in seinem Dorf.

 

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Wir haben uns für die ersten Nächte in einer uns bekannten Bungalowanlage angemeldet. Gut zum Ausschlafen und Eingewöhnen. Bei Tageslicht überraschen uns jedoch unerwartete Neuerungen. Die Anlage ist vollkommen verändert. Der Frühstücksplatz wurde auf die Terrasse eines neu errichteten Restaurants verlegt. Direkt neben den Frühstücksplätzen plätschert aus einem modernen Swimmingpool ständig Wasser über seine längere Kante auf eine Wand aus schwarzem Basalt. Neugebaute Unterkünfte mit Terrassen bestimmen das Bild.

„Wie war das Frühstück?“, die warmherzige Freundlichkeit der Frau an der Rezeption versöhnt uns. Wir erkennen sie wieder. Sie sei ja schon dreißig Jahre in diesem Hotel, erklärt sie. Als wir ihr eröffnen, dass wir vor Jahren bereits Gäste bei ihr waren, reicht sie uns beide Hände über den Tresen. Diese Geste ist anrührend. Und dann kommt fast trotzig: „Früher waren die Banana Pancakes aber viel besser. Es waren die besten in ganz Ubud. – Neues Management! Aus Australien!“

Unsere Kritik an der unüberschaubaren Ausdehnung des ganzen Komplexes durch die Bucht bis an die nächste Straße überhört sie diplomatisch mit dem Hinweis, dass die Gartenanlage doch sehr schön geworden sei. Wir stimmen ihr zu. Wir gehen vorbei an neu errichteten kleinen Bungalows durch eine talförmige Senke, die ein gurgelnder Bach durchzieht. Auf der anderen Seite finden wir ein Ensemble grasgedeckter Bambushütten, die für Bäder, Massagen, Hautpflege etc. bereitstehen. Die Gästebungalows werden grösser und verfügen über hinter Bambuszäunen versteckte eigene Swimmingpools.

Am hinteren Ausgang treffen wir einen älteren Herrn. Er sitzt hinter einem geschnitzten schweren Schreibtisch. Passend zum klassischen sarong seine balinesische Kopfbedeckung, hinter das Ohr gesteckt eine gelbe Franchipani-Blüte. Er soll diesen Zugang nicht unbeaufsichtigt lassen und hat offensichtlich Langeweile. Gern lässt er sich auf ein Gespräch mit uns ein und kommt auch schnell auf seinen Kummer zu sprechen. „Wie kann man ein Reisfeld verkaufen? Das Feld gehört den Göttern! Die Felder sollen doch die Familie ernähren!“ Alle verkauften ihre Reisfelder, steckten das Geld in die Tasche, machten sich auf Java ein schönes Leben. Wenn sie dann das Geld mit Mädchen durchgebracht hätten, kämen sie zurück. Dann hätten sie nichts mehr und müssten sich als Straßenverkäufer verdingen.

Auf der anderen Straßenseite fahren LKWs Steine, Sand und Baumaterial heran. Der australische Investor lässt weitere Bungalows errichten. Fertiggestellt werden die Gebäude der neuen Resorts 1 und 2 den weit über das Land reichenden Blick auf die Vulkanberge am Batursee versperren. Vor acht Jahren noch haben wir an gleicher Stelle beobachten können, wie Reissetzlinge in vorbereitetes, gewässertes Feld gepflanzt wurden, während gleichzeitig auf den benachbarten Reisfeldern Männern und Frauen reife Halme geschnitten und gedroschen haben.

 

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Bereits vier Uhr morgens werden wir vom ersten Hahnenschrei geweckt. Aus allen Himmelsrichtungen, lauter oder leiser, fallen Artgenossen ein. Wir wohnen in einem Kampung am Rande Ubuds. In rechtwinklig angelegten Höfen stehen Wohn- und Arbeitsgebäude dicht beieinander. Von den benachbarten Familien durch Mauern getrennt, hat jeder Hof Zugang zur schmalen Gasse. Engen Verbindungswege durchziehen wie ein Netzwerk die Ansiedlung, die sich wie eine Festung gegen den Ort abschließt.

Die Terrasse unseres Haus ist gegen eine dichte Wand üppiger Bäume und Sträucher gerichtet: riesige Banyas, Eukalyptusbäume, dichtes Bambus, Bananenstauden. Verschiedenartige bunte Vögel teilen sich hier ihr Revier mit Streifenhörnchen, die rastlos in den Zweigen auf- und abjagen.  Dahinter fällt das Gelände steil in eine unbewohnte Schlucht ab – Auslaufgebiet für viele Hühner und Hähne.

Täglich zum Frühstück auf unserer Terasse freuen wir uns über die Gesellschaft einer Glucke, die ihre Küken mit bedächtigen Schritten an die Futterplätze führt. Zum kleinen Hausschrein, an dem schon zu früher Stunde Opfergaben von der Großmutter der Familie vor die steinernen Skulpturen der einzelnen Götter gelegt wurden: Geweihtes Wasser, Räucherstäbchen, gekochter Reis in aus Bananenblättern gefalteten kleinen Schälchen. Der Reis ist bereits von anderen Hühnern von den Steinsäulen des Schreins auf den Boden geworfen und aufgepickt worden. Die Reste bieten den kleinen Küken eine willkommene Mahlzeit. Fräßen die Tiere die Opfergaben, sagen die Balinesen, erkennten sie, dass die Götter ihre Gaben angenommen haben und den Opfernden wohlgesonnen sind. Die Glucke zieht mit den neugierigen Küken weiter, entlang des dichten Buchwerkes, zum Picken ins saftige Gras.

Nach einigen Tagen bereits kennen uns alle Bewohner des Kampungs. Wir tauschen freundlich den Tagesgruß und alle freuen sich, dass wir ein paar Wörter in ihrer Sprache sprechen. Es wird viel gelacht und auch schon mal über Pikantes gescherzt. Eines Abends, auf dem Heimweg durch die engen Gassen, finden wir ein Hundepärchen, das nach getanem Liebesakt nicht mehr voneinander loskommt. Die grünliche Straßenbeleuchtung bescheint ein Bild des Erbarmens. Beide Tiere, in genitaler Verkrampfung verbunden, schauen uns hilfesuchend an. Vor dem Eingang des nächsten Hofes sind zwei Frauen in ihren Abendplausch vertieft. Wir raten, mit einem Eimer Wasser der Not der beiden Hunde ein Ende zu bereiten. Nein, werden wir belehrt. Das sei normal. Sie brechen in lautes Lachen aus, auf Bali dauere die Liebe halt länger.

 

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Wenn wir uns frühmorgens, bevor die Sonne alles unbarmherzig erhitzt, auf den Weg ins Centrum begeben, werden bereits überall die Andenkenläden für das tägliche Geschäft mit den Touristen vorbereitet. Die Gehwege werden gereinigt, die Ware – zumeist Batikarbeiten und Schnitzereien, Gemälde in allen Formaten, leichte Kleidung – vor dem Laden aufgebaut. Wir gehen vorbei an Obstständen, kleinen Tempeln und kommen auf die Jalan Hanoman. Die vor Jahrzehnten angelegte Bepflanzung des Straßenrandes mit schattenspendenden Bäumen hat hier üppige Modernisierung verhindert. In anderen Hauptstraßen, in der Monkey Forest Road, lösen mittlerweile schicke, neu errichtete Boutiquen einander ab. In der Hauptstraße vor dem Königspalast sind teure Restaurants entstanden. Hier in der Honaman Street gibt es noch kleine Cafés, in denen meist weibliche Gäste vor ihrem Gang in eines der Jogacentren ein Frühstück einnehmen. Die Tische, erhöht über dem Gehweg stehend und von diesem durch ein Bambusgeländer getrennt, sind so angeordnet, dass der Gast das Leben und Treiben auf der Straße über sein Müslischälchen hinweg bequem beobachten kann. Schweigend, mit leicht verklärtem Blick, die zusammenrollte Isomatte auf dem Nachbarstuhl, bereitet sie oder er sich auf den kommenden Tag vor.

Eine kleine Seitenstraße führt von der Jalan Hanoman in Richtung Jalan Monckey Forest. Schon am Eingang der kurzen Gasse wirbt ein riesiges Plakat für eine Einrichtung mit dem geheimnisvollen Namen Down To Earth. Neugierig kommen wir am Abend wieder, um das angeschlossene First Real Organic Vegetarian Restaurant zu besuchen. Den zweigeschossigen modernen Bau teilt es sich mit Einrichtungen, die ganz auf das körperliche Wohlbefinden seiner Kunden abzielen: Ganzkörpermassagen, Fußmassagen, Hautpflege etc. - alle Formen der sogenannten Wellnesskultur. Wir suchen uns im Außenbereich einen bequemen Platz. Am Nebentisch unterhalten sich zwei deutsche Touristinnen. Unser Gruß bleibt unbeantwortet. Ansonsten ist die zu einem Bach leicht abfallende Gartenanlage nicht besucht. Aus Lautsprechern klingt leise Musik. Vorzugsweise Salsa und indisch eingefärbte Weltmusik. Eine junge balinesische Schönheit überreicht uns die Speisekarten mit einstudiertem Willkommensgruß. Mit leiser Stimme empfiehlt sie uns die ganze Karte. Alles sei frisch zubereitet. Sie bestätigt, dass sie noch nicht lange in diesem Restaurant arbeite. Von der nahen Bar wird jede ihrer Handlungen von einer älteren Kollegin beobachtet. Wir bestellen Schokoladentorte und Ingwertee und erfahren von unserer schüchternen Bedienung, die Inhaberin der Anlage heiße Nancy und komme aus Tennessy in den Vereinigten Staaten von Amerika. Sie selbst wohne bei ihrer Familie in Ubud und wolle auch einmal in ferne Länder reisen. Sie schreibt ihren Namen auf ein Blatt Papier: Kadek Wina Pertiwi, das bedeute Gott des Erdbodens. Ob wir ihre Freunde sein wollten? Zum Abschied sagt sie, dass sie uns am nächsten Morgen wieder zum Frühstück erwarten würde. Das Frühstück im Restaurant sei sehr gut. Die aufsichtführende Kollegin kann wirklich zufrieden sein.

 

 

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Ebenfalls in der Hanoman Street finden wir einen Laden, in dem Silberschmuck angeboten wird. Uns ist die Auslage seines Schaufensters aufgefallen. Eng in Reih und Glied geordnet sind in großer Zahl Ringe, Armreifen, Kettchen mit ausgefallenen Anhängern ausgestellt. Noch als wir die unterschiedlichen Arbeitstechniken und kunsthandwerklichen Stile vergleichen, werden wir zum Eintreten ermuntert. In der Ladentür lockt uns ein balinesischer Geschäftsmann in den Dreißigern mit der unverbindlich klingenden Aufforderung: Yes! Just looking! No problem! Er stellt sich als der Inhaber des Ladens vor. Mit Hinweis auf den im Nebenraum dekorativ angeordneten Arbeitsplatz mit Bunsenbrenner, Zangen und verschiedenen anderen Werkzeugen betont er, dass er die Silberschmuckwerkstatt vor Jahren von seinem Vater übernommen habe. - Ja, alle Stücke seien von ihm hergestellt worden. Die große Anzahl der zum Verkauf angebotenen Stücke und die völlig unterschiedlichen Stile und Fertigungsformen lassen bei uns vorsichtige Zweifel aufkommen. Seine Erklärung überrascht uns. Er habe einen Partner in Amerika. Mit schnellem Griff nimmt er aus einem geschnitzten Holzkästchen eine Geschäftskarte. Es ist eine Karte mit gleichem Design, wie er sie auch im Laden mit seinem Namen und der Adresse in Ubud ausgelegt hat. Und in der Tat, unter der gleichen Firmierung bietet der amerikanische Partner in New York Silberschmuck aus Ubud, Bali an. Wir befinden uns also offensichtlich in der Filiale einer US-amerikanischen Schmuckhandlung, die mit in balinesischen Werkstätten preisgünstig gefertigtem Schmuck Geld verdient.